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Alumni at work

Bild: Sieper

Isabel Sieper hat vor 20 Jahren das Studium der Praktischen Theologie an der K(F)H Mainz mit dem Diplom abgeschlossen. Im Anschluss an die Assistenzzeit im Rheingau war Isabel Sieper 11 Jahre als Gemeindereferentin in Königstein-Kronberg im Taunus tätig. Nach zwei Auslandsaufenthalten in Einrichtungen für geistig behinderte Menschen in der Westbank, Palästina und Canberra, Australien, arbeitet sie nun seit fünf Jahren als Gemeindereferentin in Frankfurt am Main. Mit vier ganz unterschiedlichen Stadtteilen, ca. 15 000 Katholiken und fünf Kirchorten gehört die Pfarrei St. Marien zu einer Pfarrei neuen Typs, in der fünf der „alten“ Pfarreien zu einer Großpfarrei zusammengeschlossen wurden.

Liebe Frau Sieper, was sind ihre zentralen Aufgaben als Gemeindereferentin?
Auf Pfarreiebene verantworte ich zurzeit die Firmvorbereitung. Gemeinsam mit den Katecheten – und hoffentlich beim nächsten Mal auch einigen der Jugendlichen – überarbeite ich das vorhandene Konzept je nach Rückmeldungen und Reflektion des letzten Jahres.

Zudem bin ich in der Beerdigungspastoral und der Ehe- und Taufvorbereitung tätig und darf in diesen schönen, manchmal auch fordernden Diensten, Menschen in für sie besonderen Lebenssituationen begleiten und mit ihnen manches Mal eine Sicht aus der Perspektive des Glaubens neu oder wieder oder anders erschließen und entdecken.

Mit vier Stunden Religion unterrichte ich in einer der Grundschulen unseres Stadtteils und bin immer noch überrascht über die Fähigkeit der Kinder zu fragen, zu staunen, zu zweifeln und zu vertrauen. Hier komme ich auch mit Kindern zusammen, die sonst keinen Kontakt zu Kirche oder Gott haben und die in der ersten Religionsstunde nichts mit dem Namen „Jesus“ anfangen können. Ich nehme die Herausforderung der Erstverkündigung in diesem Bereich sehr gerne an und probiere aus, auch wenn sie nicht immer gelingt.

Auch die Messdiener mit Leiterrunde, Wochenende, Aktionen, Ausbildung ... gehören zu meinen Aufgaben, ebenso wie das Zeltlager und die Ferienspiele, das Krippenspiel und die Sternsinger.

Ansprechpartnerin bin ich ebenso für eine der Ortsgemeinden und somit für den Ortsausschuss, die Kreise und Gruppen dieses Kirchorts, aber auch für Veranstaltungen wie das Gemeinde- oder Mitarbeiterfest, ökumenische Gottesdienste vor Ort und sowas wie das Keller-Aufräumen und ähnliche ungeliebte Tätigkeiten, bei denen sich aber oft auch Gespräche, Witze, gemeinsames Stöhnen und eine Vertrauensbasis entwickeln. Bei den kleinen und großen Streitigkeiten untereinander, die beim Miteinander nicht ausbleiben, fühle ich mich manchmal allerdings wie ein Prellbock und es kommt durchaus vor, dass ich dann Nerven, Zeit und gute Laune verliere.

Was ist die größte Herausforderung bei Ihrer Tätigkeit?
Meiner Erfahrung nach klaffen das „normale“ Leben und der kirchliche Anspruch oder die kirchliche Lebenswelt immer weiter auseinander und erhöhen mit einer eigenen kirchlichen Sprache und teilweise als veraltet angesehene Normen für viele Menschen die Schwelle zwischen Alltag und Glaube. Mit Kernthemen – wie z.B. der Auferstehung – können nicht wenige Angehörige bei meinen Trauergesprächen nichts mehr anfangen. Viele Eltern versprechen bei der Taufe ihres Kindes, ihm zu helfen in den Glauben hineinzuwachsen und Gott kennen zu lernen, sind sich aber selbst sehr unsicher und hatten noch keine Chance im Glauben wirklich „erwachsen“ zu werden. Manche Paare muss ich enttäuscht wegschicken, weil sie schon einmal verheiratet waren. Viele Jugendliche schauen mich bei der Firmvorbereitung wie ein Alien an, wenn ich erzähle, dass Gott auch ihnen heute begegnen kann.

Und das sind nur die Beispiele, derer die trotzdem an unsere Tür klopfen. Wenn ich nur über den Tellerrand der aktiven Kerngemeinde blicke, um auch die anderen wieder in den Blick zu bekommen, die – vielleicht eben anders als in den traditionellen Formen – auf der Suche nach Gott sind, sind die allermeisten, wenn überhaupt nur punktuell in Berührung mit der Kirchengemeinde. So sagte mir beispielsweise eine junge Erwachsene neulich: „Die Kirche hat uns, die wir nicht mehr aktive Jugendliche und noch nicht in der Familienphase sind, vergessen!“ Und es stimmt – in meiner Pfarrei sind 40 % der Mitglieder zwischen 20 und 35 Jahren, aber in den Gemeinden und Angeboten tauchen sie kaum auf bzw. finden sich vermutlich auch nicht wieder. Wie gelingt es uns als Kirche, Glauben als Plus im Leben zu verkünden, die frohmachende Botschaft des Glaubens erneut in den Mittelpunkt zu rücken und die Beziehung zu Gott zu stärken?

Hinzu kommt der sehr wohl notwendige, aber auch zeit- und kraftintensive Wandel der Strukturen, des Gemeinde- und Kirchenbildes, den wir zurzeit, insbesondere mit den aktiven Ehren- und Hauptamtlichen durchlaufen. Altes zu lassen, um Zeit für Neues zu haben, ist schwer und bedeutet auch Trauer und Konflikte. Neue Strukturen lassen uns Inhalte oft vergessen. Neue Kommunikationswege müssen gefunden werden. Und Haupt- wie Ehrenamtliche müssen zurzeit ein gewisses Chaos, das durch Veränderungen im Berufs- und Kirchenbild entsteht, aushalten können, was viele auch verunsichert.

Was ist die schönste Seite Ihres Berufs?
Am Schönsten ist für mich die Vielfältigkeit der Aufgabengebiete und der Kontakt zu ganz unterschiedlichen Menschen. Auch wenn sich Jahr für Jahr vieles wiederholt, ist es doch durch andere Menschen oft anders als im Vorjahr. Dass ich dazu noch meinen Glauben an Gott mit ins Spiel bringen kann, Menschen in diesem Glauben in wichtigen Zeiten ihres Lebens begleiten darf, mich auch beruflich mit geprägten Zeiten und kirchlichen Festen beschäftigen muss, mein Wissen über Gott, Glauben, Bibel, Symbole, Feste weitergeben kann und auch von anderen über ihren Glauben, ihr Suchen und Fragen hören darf empfinde ich als großes Geschenk. Manches Mal werde ich dadurch selbst getröstet und berührt. Am meisten freue ich mich aber wenn ich merke, dass andere Menschen Gott begegnen und ich dazu im Reliunterricht, in einer Predigt, einem Trauergespräch, der Firmvorbereitung oder wo auch immer einen kleinen Beitrag leisten konnte.

Welche Themen und Anliegen sind Ihnen besonders wichtig?
Ganz besonders liegt mir das Kerngeschäft von Kirche am Herzen: von Gott und seiner Liebe zu uns Menschen zu erzählen und Begegnungsräume mit diesem Gott zu eröffnen. Das ist für mich das große Plus und die frohmachende Botschaft, die wir in Kirche zusätzlich zu Sport- oder Musikvereinen haben und die wir nicht verstecken müssen. Dazu gehört es für mich aber auch, mit einem weiten Herz auf Menschen zuzugehen, sie ernst zu nehmen und für und mit ihnen da zu sein - egal ob sie gut riechen, ob sie in unserer Gesellschaft anerkannt sind oder ob ihr Leben Brüche hat. Wichtig ist mir auch, Gottesdienste und Feste zu feiern, Abläufe, Riten und Symbole in einer verständlichen Sprache zu erklären oder sich aktuellen Fragen und Diskussionen zu stellen sowie Missstände zu benennen.

Ihre Studienzeit liegt nun schon einige Jahre zurück und Sie konnten viele Erfahrungen im Berufsleben sammeln. Welche Eindrücke haben Sie heute noch ganz besonders von Ihrem Studium in Erinnerung?
In meinem ersten Semester studierte ich noch im alten Gebäude auf der anderen Straßenseite und ich weiß noch, dass die Lage des neuen Gebäudes zwischen Arbeitsamt und Friedhof uns manchen Witz hat reißen lassen – vielleicht ist das heute ja immer noch so.
Die KFH habe ich insbesondere als einen offenen Ort in Erinnerung. Ich habe sehr genossen, mir meine Studienrichtung selbst aussuchen zu können und mich mit Themen zu beschäftigen, die mich interessiert haben. Insbesondere die Dogmatikvorlesungen habe ich lebhaft vor Augen. Dort war es möglich spontan auch auf aktuelle Themen einzugehen, diese von verschiedenen Seiten zu beleuchten und theologisches Hintergrundwissen dafür vermittelt zu bekommen. Den Berg, den wir in diesem Fach zum Ende dann lernen mussten, sehe ich allerdings auch noch vor mir. Aber auch die Exegesevorlesungen von Frau Dr. Steichele, manchmal auch mit dem Heiligen Nikolaus, werde ich nicht vergessen.

Welche Aspekte Ihres Studiums waren für ihren Berufsweg rückblickend besonders hilfreich?

Ein solides fachliches Fundament, in den verschiedenen theologischen, aber auch pädagogischen Fächern vermittelt zu bekommen, war hilfreich. Ebenso zu wissen, wo ich was nachschlagen kann. Auch die intensive Auseinandersetzung mit aktuellen Themen aus verschiedenen Blickwinkeln habe ich in guter Erinnerung. Der Bezug zur Praxis, wie zum Beispiel in den Gemeindepraktika, haben mir den Berufseinstieg erleichtert und das theoretische Wissen geerdet. Und die Erfahrung von geistlicher Begleitung und Exerzitien, die ich im Studium das erste Mal machen durfte, und die mir mittlerweile jedes Jahr eine große Kraftquelle geworden sind, möchte ich nicht missen.

Welche Erwartungen haben Sie heute an Absolventen/-innen, die ins Berufsleben starten?
Mit am Wichtigsten ist meiner Meinung nach, keine Angst vor Menschen zu haben und auf Menschen freundlich, offen und neugierig zugehen zu können. Nicht immer finde ich alle gleich sympathisch oder verstehe auf den ersten Blick, warum Menschen sich so und nicht anders verhalten. Manche nerven mich ganz gewaltig. Manchmal kostet es mich auch Überwindung, jemand Fremdes anzusprechen oder meine Abneigung gegenüber jemandem zu überwinden. Aber wenn ich an Jesus denke und sein großes Herz – auch für die Sünder, die Ausgeschlossenen oder Leidenden - möchte ich mich von Verhaltensweisen, Gerüchen oder Andersartigkeiten nicht abschrecken lassen und bin überzeugt, dass jeder Seelsorger – vor allem theologischen Wissen - ein großes und weites Herz für die Menschen braucht.
Außerdem wünsche ich allen, die Lust darauf, Kirche mit zu gestalten, zu tun, statt zu reden. Das ist nämlich ein guter Motivationsfaktor und genau das können wir in Kirche heute gut gebrauchen.

Welchen Rat würden Sie den heutigen Studierenden mit auf den Weg geben?
Vieles im Berufsalltag kann belastend sein: schwierige Lebenssituationen, die wir mitbekommen, unregelmäßige Arbeitszeiten – mit vielen Abend- und Wochenendterminen, eine zusätzliche Beerdigung in einer schon vollen Woche,… da ist es gut, zu wissen, warum ich diesen Beruf ausüben möchte. Hilfreich ist mir dabei, die Beziehungspflege mit Gott und die Rückbindung an IHN nicht zu kurz kommen zu lassen, den Grund auf dem ich stehe zu kennen und zu wissen oder immer wieder neu auszuprobieren: wo sind meine Kraftquellen, wo kann ich auftanken.

Ansonsten: genießen Sie die Studienzeit, auch wenn Sie mal nicht perfekt vorbereitet sind oder die Nacht zum Tag gemacht haben, im Studium tragen nur Sie selbst die Konsequenzen, später sind meistens auch andere betroffen: die Schüler im Reliunterricht, der trauernde Angehörige, …

Welchen Rat möchten Sie der KH oder den Lehrenden in der KH mit auf den Weg geben?

...dass die veränderte kirchliche Situation in Bezug auf größere Räume, aber auch auf die zunehmende Säkularisierung und Neu-Evangelisierung im Blick ist und zu neuem Denken in Bezug auf die pastorale Arbeit gemeinsam mit den Studierenden anregt.
...dass auch menschliche, soziale und kommunikative Kompetenzen in der Studienzeit weiterentwickelt, ausprobiert, vertieft und gelernt werden.
...dass neben dem Pflichtcurriculum auch Zeit bleibt, auf aktuelle Themen aus verschiedenen Blickwinkeln einzugehen und
...dass Sie weiterhin versuchen, den Studierenden ein breites Fundament an theologischem und pädagogischem Wissen mit zu geben.

 

Das Gespräch mit Isabel Sieper führte Prof. Peter Orth